(Januar 2020) Die Bestimmung der Reinheit von Medizinprodukten ist seit Oktober 2019 einheitlich geregelt: Die VDI-Richtlinie 2083 Blatt 21 bietet Hilfestellungen, wie Hersteller ermitteln können, ob für ihre Produkte Reinheitsgrenzwerte notwendig sind und wie diese abgeleitet und überprüft werden können. Den nächsten, konsequenten Schritt geht der am Fraunhofer IPA gestartete Industrieverbund, er will die Ableitung von Grenzwerten für produktspezifische Reinheitsanforderungen für partikuläre und chemische Verunreinigungen konkretisieren.
Für Hüftprothesen gilt ebenso wie für Spritzen, für Katheder wie für Pflaster: Medizinprodukte dürfen dem Patienten bei ordnungsgemäßer Nutzung in keiner Weise schaden. Dafür sollen zahlreiche gesetzliche und normative Vorschriften sorgen, die Medizintechnikunternehmen erfüllen müssen, um ihre Produkte auf den Markt bringen zu können. Aus solchen sehr pauschalen rechtlichen Vorgaben leiten sich unmittelbar auch Anforderungen an die Reinheit der Medizinprodukte ab.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass weder Reihnheitsgrenzwerte noch die einzusetzende Prüftechnik und Analysegerätschaften gesetzlich oder auch normativ ausreichend geregelt sind. Gleichzeitig wird aber immer konkreter die Betrachtung der Reinheit von Medizinprodukten und deren Zuliefererkomponenten gefordert. So wird in der neuen EU-Verordnung für Medizinprodukte, der Medical Device Regulation (MDR 2017/745), die Reinheit von Medizinprodukten ebenso explizit adressiert wie in der für die Herstellung von Medizinprodukten verbindlichen Qualitätsmanagement-Norm DIN EN ISO 13485 (2016-03). Hier geht es beispielsweise um partikuläre Verunreinigungen. Dabei werden keine konkreten Vorgaben gemacht, welche spezifischen Reinheitsanforderungen für ein Medizinprodukt gelten.
Bisher waren die Hersteller auf sich allein gestellt. Im Rahmen der obligatorischen Risikobewertung ist jedes Unternehmen nach eigenem Ermessen vorgegangen, legte für kritische Verunreinigungen aus dem Herstellungsprozess Grenzwerte, sogenannte Akzeptanzkriterien, fest und wählte Prüfmethoden. Jetzt finden sich allgemeine Hilfestellungen hierzu in der neuen Richtlinie VDI 2083 Blatt 21 „Reinheit von Medizinprodukten im Herstellungsprozess“. »Die Norm ist für sämtliche Medizinprodukte anwendbar. Sie zeigt Wege auf, wie Hersteller zu Akzeptanzkriterien für ihre Medizinprodukte kommen und wie diese überprüft werden können«, fasst IPA-Wissenschaftler Guido Kreck den Gewinn durch die Richtlinie zusammen.
Die bestimmten Werte für einzelne Medizinprodukte müssen die Hersteller allerdings noch selbst definieren. Je nach gewähltem Weg können unterschiedliche Akzeptanzkriterien das Ergebnis sein. »Gesetzlichen und normativen Vorgaben ist gemein, dass sie keine konkreten Angaben zur Festlegung von Akzeptanzkriterien sowie deren Nachweisverfahren enthalten«, erklärt Kreck. »Außerdem gestaltet es sich für das breite Spektrum an unterschiedlichen Medizinprodukten wiederum schwierig, jeweils produktspezifische Normen zu etablieren, die die relevanten Reinheitsfragestellungen behandeln.« Herauszufinden, wie Unternehmen trotzdem konkrete Akzeptanzkriterien ihrer Produkte ableiten können, macht sich neu gegründete Industrieverbund, der sich am 26. November 2019 am Fraunhofer IPA konstituiert hat, zum Ziel.
Der Industrieverbund hat vor allem zum Ziel, die Ableitung von Akzeptanzkriterien für produktspezifische Reinheitsanforderungen, die grundsätzlich in der VDI-Richtlinie beschrieben ist, weiter für partikuläre und chemische Verunreinigungen zu konkretisieren.
Den teilnehmenden Unternehmen sollen einheitliche und schlüssige Strategien an die Hand gegeben werden, wie Akzeptanzkriterien für Medizinprodukte sinnvoll und nachvollziehbar abgeleitet werden können, um die Risiken für den Patienten möglichst zu minimieren, gleichzeitig aber auch den fertigungstechnisch herstellbaren Reinheitszustand mit einzubeziehen. Aus diesem Grund findet auch eine Studie zur Bestimmung des reinheitstechnischen Ist-Zustands statt, in dem die teilnehmenden Unternehmen ihre Produkte für partikuläre Reinheitsanalysen zur Verfügung stellen können.
»Eine Handlungshilfe auf Basis dieser Ergebnisse wäre zum jetzigen Stand ein deutlicher Fortschritt, weil Unternehmen sich künftig an einer solchen schlüssigen Begründung orientieren können und damit den Dialog mit den benannten Stellen sowie die Diskussion mit Zulieferern und Dienstleistern auf eine fundierte Basis stellen«, so Kreck. »Noch ist gängige Praxis, dass Hersteller häufig auf Regelwerke zurückgreifen, die mit dem eigenen Medizinprodukt nichts direkt zu tun haben, etwa aus dem pharmazeutischen Bereich, oder sie wenden Medizintechniknormen aus anderen Bereichen auf ihr Produkt an.«
Projektstart: April 2020
Am 21. April 2020 starten Arbeitsgruppen mit der Bearbeitung dieser Aspekte. Zunächst sollen konkrete produktspezifische Regelwerke recherchiert und gesammelt werden, in denen Reinheitsanforderungen für Medizinprodukte bereits konkret definiert sind. Damit ist ein Startpunkt für die Ableitung von Akzeptanzkriterien gegeben. Des Weiteren werden sinnvolle und anwendbare Ableitungskonzepte für Akzeptanzkriterien aus nicht-produktspezifischen Regelwerken an Beispielprodukten des Teilnehmerkreises gesammelt und bewertet. Ein vielversprechender weiterer Ansatz besteht darin, aus Reinheitssicht Gruppen von Medizinprodukten zusammenzustellen, also Cluster zu bilden und für diese Reinheitsanforderungen abzuleiten. Und schließlich sollen Analysen an Medizinprodukten der Industrieverbund-Teilnehmer in anonymisierter Form durchgeführt werden. Diese bilden die Datenbasis für den in der VDI 2083 beschriebenen Ansatz zur Bestimmung des Ist-Zustands, der gleichzeitig auch den fertigungstechnisch herstellbaren Reinheitszustand widerspiegelt.
Auf Basis der gewonnenen Ergebnisse wird der Industrieverbund eine Vorgehensweise zur Ableitung von Akzeptanzkriterien abstimmen und vorschlagen. Diese findet sich im Abschlusspapier des Verbunds dokumentiert, der die Grundlage für das weitere Vorgehen darstellt. Unternehmen aus dem Medizintechnikbereich und deren Zulieferer sind eingeladen, an diesem Verbund teilzunehmen.
Quelle Text: Fraunhofer IPA
Quelle Bild: © Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez