StartDie Klinische Bewertung von Medizinprodukten

Die Klinische Bewertung von Medizinprodukten

Die Definition aus der MDR

In Artikel 2 Nr. 44 MDR wird die Klinische Bewertung wie folgt definiert:
«„klinische Bewertung“ bezeichnet einen systematischen und geplanten Prozess zur kontinuierlichen Generierung, Sammlung, Analyse und Bewertung der klinischen Daten zu einem Produkt, mit dem Sicherheit und Leistung, einschließlich des klinischen Nutzens, des Produkts bei vom Hersteller vorgesehener Verwendung überprüft wird»

Klinische Bewertungen müssen für alle Medizinprodukte unabhängig von ihrer Klassifizierung durchgeführt werden. Die Eignung des Produkts für den vorgesehenen Verwendungszweck muss auf der Grundlage von klinischen Daten nachgewiesen werden, und es muss eine Bewertung der klinischen Risiken vorgenommen werden. Dieser Nachweis – die klinische Bewertung – umfasst die Bewertung der unerwünschten Wirkungen und der Annehmbarkeit des Nutzen-Risiko-Verhältnisses, das in den allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen der MDR festgelegt ist.

Die klinische Bewertung eines Medizinprodukts wird in Artikel 61 und im Anhang XIV Teil A der MDR reguliert. Sie ist ein Prozess über die gesamte Lebenszeit des Medizinprodukts. Die erste klinische Bewertung muss während des Konformitätsbewertungsverfahrens durchgeführt werden, das mit der CE-Kennzeichnung abgeschlossen wird.

Die klinische Nachbeobachtung

Ist das Medizinprodukt in Verkehr gebracht, so gilt Anhang XIV Teil B der MDR: «Die klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen ist als ein fortlaufender Prozess zur Aktualisierung der klinischen Bewertung gemäß Artikel 61 und Teil A dieses Anhangs zu verstehen und wird im Plan des Herstellers zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen behandelt. Bei der klinischen Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen sammelt und bewertet der Hersteller auf proaktive Weise klinische Daten, die aus der Verwendung eines die CE-Kennzeichnung tragenden, im Rahmen seiner Zweckbestimmung gemäß dem einschlägigen Konformitätsbewertungsverfahren in den Verkehr gebrachten oder in Betrieb genommenen Produkts im oder am menschlichen Körper hervorgehen, um die Sicherheit und die Leistung während der erwarteten Lebensdauer des Produkts zu bestätigen, die fortwährende Vertretbarkeit der ermittelten Risiken zu gewährleisten und auf der Grundlage sachdienlicher Belege neu entstehende Risiken zu erkennen. »

Für die klinische Nachbeobachtung müssen Hersteller von Medizinprodukten einen Plan erstellen, der gemäß Anhang XIV Teil B MDR Abschnitt 6.1 und 6.2 strukturiert und aufgebaut sein und die darin aufgeführten Inhaltspunkte enthalten sollte. Der Hersteller analysiert die Ergebnisse dieses Prozesses regelmäßig und erstellt daraus entsprechend den Bericht zur klinischen Nachbeobachtung (PMCF-Bericht). Dieser wiederum fließt in die regelmäßigen Berichte zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen (PMS-Bericht gemäß Artikel 85 MDR bzw. den Regelmäßig aktualisierten Bericht über die Sicherheit (PSUR gemäß Artikel 86 MDR) sowie die Aktualisierung der klinischen Bewertung mit ein.

Die klinischen Daten

Die klinischen Daten des Medizinprodukts stammen aus

  • der Literatur,
  • den Ergebnissen von klinischen Prüfungen und
  • anderen Quellen.

Diese Daten müssen analysiert, bewertet und als ausreichend erachtet werden, um nachzuweisen, dass die Konformität des Medizinprodukts mit den für dieses Medizinprodukt zutreffenden Allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen gegeben ist. Nachzuweisen ist, dass die vom Hersteller vorgegebene Zweckbestimmung des Medizinprodukts erfüllt wird. Das Ergebnis dieses Prozesses ist ein Bericht, in dem nachvollziehbar nachgewiesen wird, dass der Nutzen des Medizinprodukts die aufgezeigten Risiken und Nebenwirkungen überwiegt.

Hinweis: die entsprechende Bewertung für IVDs nennt sich „Leistungsbewertung“ und findet sich in Artikel 56 IVDR in Verbindung mit Anhang XIII IVDR.

Das sagt die MDR zur Durchführung

Zu beachten sind gemäß MDR Anhang XIV dabei folgende Punkte:

«1. Bei der Planung, der kontinuierlichen Durchführung und der Dokumentierung einer klinischen Bewertung haben Hersteller folgende Aufgaben:

  1. Erstellung und Aktualisierung eines Plans für die klinische Bewertung, der mindestens Folgendes enthält:
    — Bestimmung der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen, die mit relevanten klinischen Daten zu untermauern sind;
    — Spezifizierung der Zweckbestimmung des Produkts;
    — genaue Spezifizierung der vorgesehenen Zielgruppen mit klaren Indikationen und Kontraindikationen;
    — detaillierte Beschreibung des angestrebten klinischen Nutzens für die Patienten mit relevanten konkreten Parametern für das klinische Ergebnis;
    — Spezifizierung der für die Prüfung der qualitativen und quantitativen Aspekte der klinischen Sicherheit anzuwendenden Methoden unter deutlicher Bezugnahme auf die Bestimmung der Restrisiken und Nebenwirkungen;
    — nichterschöpfende Liste und Spezifizierung der Parameter zur auf dem neuesten medizinischen Kenntnisstand beruhenden Bestimmung der Vertretbarkeit des Nutzen-Risiko-Verhältnisses für die verschiedenen Indikationen und die Zweckbestimmung bzw. Zweckbestimmungen des Produkts;
    — Angabe, wie Fragen hinsichtlich des Nutzen-Risiko-Verhältnisses für bestimmte Komponenten wie die Verwendung pharmazeutischer, nicht lebensfähiger tierischer oder menschlicher Gewebe zu klären sind und
    — klinischer Entwicklungsplan: von explorativen Studien, wie Studien zur Erstanwendung am Menschen („First-in-man“-Studien), Durchführbarkeitsstudien und Pilotstudien bis hin zu Bestätigungsstudien, wie pivotale klinische Prüfungen, und einer klinischen Überwachung nach dem Inverkehrbringen gemäß Teil B dieses Anhangs, unter Angabe von Etappenzielen und Beschreibung möglicher Akzeptanzkriterien
    ;
  2. Ermittlung der verfügbaren klinischen Daten, die für das Produkt und seine Zweckbestimmung relevant sind, sowie sämtlicher Lücken im klinischen Nachweis durch systematische Auswertung der wissenschaftlichen Fachliteratur;
  3. Beurteilung aller relevanten klinischen Daten durch Bewertung ihrer Eignung zum Nachweis der Sicherheit und Leistung des Produkts;
  4. Erzeugung neuer oder zusätzlicher klinischer Daten, die für die Behandlung noch offener Fragen erforderlich sind, durch sachdienlich konzipierte klinische Prüfungen gemäß dem klinischen Entwicklungsplan und
  5. Analyse aller relevanten klinischen Daten, um zu Schlussfolgerungen bezüglich der Sicherheit und der klinischen Leistung des Produkts einschließlich seines klinischen Nutzens zu gelangen.
  6. Die klinische Bewertung ist gründlich und objektiv und berücksichtigt sowohl günstige als auch ungünstige Daten. Gründlichkeit und Umfang dieser Bewertung sind verhältnismäßig und angemessen in Bezug auf Art, Klassifizierung, Zweckbestimmung und Risiken des betreffenden Produkts und in Bezug auf die Herstellerangaben zu dem Produkt.
  7. Eine klinische Bewertung kann sich nur dann auf klinische Daten zu einem Produkt stützen, wenn die Gleichartigkeit zwischen dem ähnlichen Produkt und dem betreffenden Produkt nachgewiesen werden kann. Zum Nachweis der Gleichartigkeit werden die folgenden technischen, biologischen und klinischen Merkmale herangezogen:
    — Technisch: Das Produkt ist von ähnlicher Bauart, wird unter ähnlichen Anwendungsbedingungen angewandt, haben ähnliche Spezifikationen und Eigenschaften einschließlich physikalisch-chemischer Eigenschaften wie Energieintensität, Zugfestigkeit, Viskosität, Oberflächenbeschaffenheit, Wellenlänge und Software-Algorithmen, verwendet gegebenenfalls ähnliche Entwicklungsmethoden und hat ähnliche Funktionsgrundsätze und entscheidende Leistungsanforderungen.
    — Biologisch: Das Produkt verwendet die gleichen Materialien oder Stoffe im Kontakt mit den gleichen menschlichen Geweben oder Körperflüssigkeiten für eine ähnliche Art und Dauer des Kontakts bei ähnlichem Abgabeverhalten der Stoffe einschließlich Abbauprodukte und herauslösbarer Bestandteile („leachables“).
    — Klinisch: Das Produkt wird unter der gleichen klinischen Bedingung oder zum gleichen klinischen Zweck, einschließlich eines ähnlichen Schweregrads und Stadiums der Krankheit, an der gleichen Körperstelle und bei ähnlichen Patientenpopulationen in Bezug auf u.a. Alter, Anatomie und Physiologie angewandt, hat die gleichen Anwender und erbringt eine ähnliche, maßgebliche und entscheidende Leistung im Hinblick auf die erwartete klinische Wirkung für eine spezielle Zweckbestimmung.

Die im ersten Absatz aufgeführten Merkmale müssen in einer Weise gleichartig sein, dass es keinen klinisch bedeutsamen Unterschied bei der Sicherheit und klinischen Leistung der Produkte gibt. Die Prüfung der Gleichartigkeit stützt sich auf eine angemessene wissenschaftliche Begründung. Es muss eindeutig nachgewiesen werden, dass die Hersteller über einen hinreichenden Zugang zu den Daten von Produkten, mit denen sie die Gleichartigkeit geltend machen, verfügen, um die von ihnen behauptete Gleichartigkeit belegen zu können.

  1. Die Ergebnisse der klinischen Bewertung und der ihr zugrunde liegende klinische Nachweis werden in einem Bewertungsbericht aufgezeichnet, der zur Untermauerung der Konformitätsbewertung des Produkts dient. Der klinische Nachweis und die mit nichtklinischen Testmethoden erzeugten nichtklinischen Daten sowie weitere relevante Unterlagen ermöglichen es dem Hersteller, die Konformität mit den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen aufzuzeigen; sie sind Teil der technischen Dokumentation des betreffenden Produkts. In die technische Dokumentation werden sowohl die günstigen als auch die ungünstigen Daten, die in der klinischen Bewertung berücksichtigt wurden, aufgenommen.»

Weitere Empfehlungen zur klinischen Bewertung

Mehrere MDCG-Leitlinien liefern weitere Empfehlungen im Kontext der klinischen Bewertung:

  • MDCG 2020-1-Guidance on clinical evaluation (MDR) / Performance evaluation (IVDR) of medical device software
  • MDCG 2020-5 Guidance on Clinical Evaluation – Equivalence
  • MDCG 2020-6 Guidance on Sufficient Clinical Evidence for Legacy Devices
  • MDCG 2020-7 Guidance on PMCF Plan Template
  • MDCG 2020-8 Guidance on PMCF Evaluation Report Template
  • MDCG 2020-13 Clinical Evaluation assessment report template
  • MDCG 2023-7 Guidance on exemptions from the requirement to perform clinical investigations pursuant to Article 61(4)-(6) MDR and on sufficient levels of access’ to data needed to justify claims of equivalence
  • MDCG 2024-10 Clinical Evaluation of orphan medical devices

Klinische Bewertung – Bericht

Die klinische Bewertung und ihr Ergebnis müssen in einem Bericht zu dokumentiert werden. Dieser Bericht und/oder ein ausführlicher Verweis darauf müssen in die technische Dokumentation über das Produkt aufgenommen werden.

Der Bericht zur klinischen Bewertung muss aktiv anhand der aus der Überwachung nach dem Inverkehrbringen erhaltenen Daten auf dem neuesten Stand gehalten werden. Mit anderen Worten: Der Bericht der klinischen Bewertung ist über die gesamte Lebensphase eines Produkts immer wieder regelmäßig zu aktualisieren.

Eine Empfehlung zur Gliederung des Berichts zur klinischen Bewertung ist in Anhang A9 der MEDDEV-Leitlinie der Kommission MEDDEV 2.7/1 rev. 4 gegeben.


 

Dieser Eintrag stammt aus dem umfangreichen Glossar des Wissensportals Praxis Medizinprodukterecht digital

N. Benad / A. Graf / H.-J. Lau (Hrsg.):
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