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Interview: TRIZ und RA-Prozesse – Innovative Ansätze für globale Effizienz in der Medizintechnik

(April 2025) Holger Wagner hat die Medizintechnikbranche durch seine Arbeit an Zulassungsprozessen (Regulatory Affairs, RA) nachhaltig beeinflusst. Mit über 17 Jahren Erfahrung in RA, Qualitätsmanagement und Produktentwicklung setzt er die TRIZ-Methode ein, um bestehende Prozesse zu hinterfragen und effizienter zu gestalten. Seine Erfolge – darunter ein weltweit anerkanntes Patent und optimierte Zulassungsstrategien – zeigen, wie unkonventionelles Denken die Branche voranbringen kann. Tätig war Wagner u.a. als Entwicklungsingenieur bei der Retina Implant AG, als RA- und Qualitätsleiter bei der Okuvision GmbH und als Lead-Auditor bei TÜV SÜD. Bei Dräger überwachte er mehr als 2.500 Medizinprodukte. Seine Vision: „Regulatorische Prozesse sollen Innovation fördern, nicht bremsen.“

Doch was genau ist TRIZ, und wie kann es helfen, RA-Prozesse neu zu denken? Im Interview erklärt Wagner die Methode und ihre praktische Anwendung.

Was bedeutet TRIZ und wie fördert diese Methode kreative Problemlösungen in der Medizintechnik?

TRIZ steht für „Theorie des erfinderischen Problemlösens“ und wurde in den 1940er Jahren von Genrich Altshuller entwickelt. Die Idee: Technische Probleme folgen oft wiederkehrenden Mustern, und Lösungen lassen sich aus bestehenden Erfindungen ableiten oder können durch eine Änderung der Betrachtungsweise einfacher aufgelöst werden. TRIZ analysiert Widersprüche – Situationen, in denen zwei Anforderungen scheinbar nicht gleichzeitig erfüllt werden können – und bietet systematische Ansätze, um sie ohne Kompromisse zu lösen. Dafür nutzt die Methode Prinzipien, die aus der Analyse von Tausenden Patenten entstanden sind. Ein Beispiel: Ein Medizinprodukt soll leicht sein, aber auch robust. Statt einen Mittelweg zu suchen, könnte TRIZ vorschlagen, ein Material zu verwenden, das beide Eigenschaften vereint – etwa ein verstärktes Polymer. In Prozessen funktioniert das ähnlich: Statt mehr Personal einzusetzen, um Zulassungsfristen zu verkürzen, könnte man den Ablauf selbst umstrukturieren. TRIZ fordert dazu auf, über Konventionen hinauszudenken und neue Perspektiven einzunehmen.

Wie haben Sie TRIZ erlernt, in der Produktentwicklung angewendet und in regulatorischen Prozessen eingesetzt? Welche Ergebnisse haben Sie damit erzielt?

Ich lernte TRIZ bei der IHK Reutlingen kennen und erkannte schnell das Potenzial für die Medizintechnik. Mein erstes großes Ergebnis war das Patent US-9566427-B2 für ein Elektrostimulationsgerät zur ophthalmologischen Anwendung. Mit mehreren klinischen Studien, über 400 Zitaten und Einsatz in mehr als 50 Kliniken weltweit gilt es als bedeutender Fortschritt. TRIZ löst Widersprüche systematisch – das habe ich mir für regulatorische Prozesse bei Dräger dann ebenfalls zu Nutze gemacht und setzte diese Denkweise als Head of Regulatory Affairs ein. Ich steigerte die Zahl der FDA-510(k)-Einreichungen um bis zu 300 Prozent im Bereich der HCA (Hospital Consumables und Accessories), bei einer Akzeptanzrate von 100 Prozent. Statt nur schneller zu arbeiten, analysierte ich mit meinem Team, weiteren Mitarbeitern und TRIZ, wo Prozesse unnötig komplex waren, und optimierte sie gezielt. Das zeigt: TRIZ ist nicht nur für Erfindungen nützlich, sondern auch für die Strukturierung von Abläufen, Projekten und Prozessen. Wir haben mit dem Projekt Empowered Local RA die Zulassungszeiten in asiatischen Ländern deutlich reduzieren können.

Ihr Projekt „Empowered Local RA“ klingt beeindruckend. Können Sie uns mehr darüber erzählen und erklären, wie TRIZ geholfen hat, die Zulassungszeiten zu verkürzen?

Mit dem Empowered Local RA Projekt – Effizienz durch Dezentralisierung konnten wir zeigen, dass wir die Zulassungszeiten für über 700 Produkte von bis zu 255 auf bis zu 56 Tage verkürzen konnten. Der Ansatz: Lokale RA-Manager wurden befähigt, eigenständig zu handeln, statt auf zentrale Vorgaben zu warten. Globale Effizienz entsteht durch lokale Kompetenz. Mein Team hinterfragte den Standardprozess – warum alles zentral steuern, wenn regionale Teams schneller reagieren können? Das Pilotprojekt wurde im asiatischen Bereich gestartet, unterstützt von Andreas Müller und Luise Lang und wird nun weiterentwickelt und auf weitere Regionen ausgeweitet.

Nicht jede Firma hat lokale Niederlassungen. Was würden Sie Firmen raten, die zentralisiert arbeiten müssen?

Ein weiterer Ansatz, der auch bei zentral agierenden KMU angewendet werden kann, ist die Einführung einer KPI (Key Performance Indicator), die Zulassungsaufwand und Umsatz in Relation setzt. Während meiner Tätigkeit als Auditor stellte ich in über 50 Audits in gut 10 Ländern fest, dass oft nur 20 Prozent von weltweit registrierten Ländern signifikante Umsätze erzielen – ein klassisches Pareto-Prinzip. Mit einer Bewertungsmatrix priorisiert man dabei rentable Märkte, wodurch Ressourcen effizienter genutzt werden. Das reduziert nicht nur RA-Kosten, sondern entlastete auch die Entwicklungsabteilung (R&D), da weniger regulatorische Standards erfüllt werden müssen, was auch zu einer deutlichen Reduktion von notwendigen Tests führt. Weniger Tests, schnellere Markteinführung – das ist der Mehrwert. Auch dieses Konzept habe ich bei Dräger implementiert und es wird nun von Johannes Prang weitergeführt.

Wie können Fachleute TRIZ im Alltag nutzen, um ihre eigenen RA-Prozesse zu verbessern?

TRIZ ist keine Methode nur für Experten – sie lässt sich auf viele Herausforderungen anwenden. Für RA-Prozesse könnte man so vorgehen:

  • Problem definieren: etwa lange Zulassungsfristen
  • Widerspruch identifizieren: Schnelligkeit vs. regulatorische Genauigkeit.
  • TRIZ-Prinzipien anwenden: Gibt es Beispiele, wo ähnliche Konflikte gelöst wurden? (Vielleicht durch Automatisierung oder Vorabprüfungen)
  • Unkonventionell denken: Was wäre, wenn lokale Bereiche Teile der Arbeit übernehmen?

Ein praktisches Beispiel: Wenn Dokumentationen zu lange dauern, könnte man statt mehr Kontrollen eine Vorlage entwickeln, die Fehler von vornherein minimiert. TRIZ hilft, solche Lösungen systematisch zu finden. Es mag banal klingen, aber wenn man in seinen Prozessen gefangen ist, kommt man nicht immer auf die besten Lösungen. Das Betrachten des Problems aus einer anderen Blickrichtung hilft, hier Prozesse effizienter zu gestalten. Daher ist es immer hilfreich, wenn ein Fachfremder auf die eigenen Prozesse schaut und diese kritisch hinterfragt. Aus Sicht eines Produktmanagers können ein regulatorischer Prozess mitunter deutlich vereinfacht oder Schnittstellen besser eingefügt werden, um den Übergang von regulatorischen Prozessen zu Marketing Prozessen zu verbessern.

Welchen Mehrwert sehen Sie in TRIZ für die Medizintechnikbranche?

TRIZ bietet einen klaren Vorteil: Es zwingt dazu, Prozesse nicht nur zu beschleunigen, sondern grundlegend zu verbessern. Ich habe gezeigt, wie man mit dieser Methode Zulassungszeiten verkürzt, Kosten senkt und Innovationen schneller zu Patienten bringt. Meine Ansätze – von „Empowered Local RA“ bis zur KPI-Optimierung – sind nicht nur für RA-Teams relevant, sondern könnten die gesamte Branche inspirieren, bestehende Strukturen und Prozesse zu überdenken und neu zu gestalten.

Wo stößt TRIZ an seine Grenzen?

Eine Lösung kann richtig sein, aber muss nicht unbedingt zum Unternehmen passen. Als Gartengerätehersteller etwa ist die Frage nach dem optimalen Rasenmäher recht schnell beantwortet: Rasen, der nach 2 Zentimetern aufhört zu wachsen. Das ist aber wohl nicht im Sinne des Rasenmäherherstellers. Hier muss man nach der Lösungsfindung prüfen, ob dies auch zum Unternehmen passt und umgesetzt werden kann.

Was ist ihr Fazit?

TRIZ ist ein Werkzeug, das unkonventionelles Denken mit systematischer Analyse verbindet. In der Medizintechnik, insbesondere bei RA-Prozessen, zeigt meine Arbeit, wie es Effizienz und Innovation steigert. Für Fachleute bietet die Methode eine Chance, über traditionelle Ansätze hinauszugehen und Prozesse so zu gestalten, dass sie den Patienten schneller zugutekommen. Ein Ansatz, der nicht nur inspiriert, sondern auch umsetzbar ist.

(Mirjam Bauer)

 

 

 

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