(April 2020) Die Universität Bielefeld hat 2019 die medizinische Fakultät gegründet und wird 2020 den Lehrbetrieb aufnehmen. Parallel hierzu startete die Fachhochschule Bielefeld interdisziplinär das Zentrum für Gesundheit, Soziales und Technologien. Das Zentrum wird von Forscherinnen und Forschern der Fachbereiche Ingenieurwissenschaften, Wirtschafts- und Sozialwesen vorangetrieben.
Ziel ist es, eine Kooperation zwischen ostwestfälischen Unternehmen, Verbänden sowie der Fachhochschule Bielefeld aufzubaue und den Unternehmen den Eintritt in die ertrags- und wachstumsstarke Branche Medizintechnik zu erleichtern.
Ausgangssituation
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Entwicklung und Zulassung von MedTech-Anwendungen stellt für viele Unternehmen eine Hürde dar. Dies gilt insbesondere für KMUs und Startups. Hier sollte einer der Schwerpunkte der neuen Aktivitäten des Zentrums für Gesundheit, Soziales und Technologien der Fachhochschule liegen.
Seit Jahren verzeichnet die Medizintechnik ein kontinuierlich großes Wachstum mit überproportional großen Margen für ihre Anbieter. Für etablierte ostwestfälische Unternehmen mit anderer Marktausrichtung und auch für Startups oder neugegründete spezifisch ausgerichtete Tochterunternehmungen kann die Hinwendung zu der Medizintechnik interessante Wachstumsimpulse bringen.
Neue Technologien sowie Software sollen dem Menschen in den Bereichen Gesundheit und Fitness unterstützen. Die Bereitstellung derart geprägter Geräte, das ist das Selbstverständnis der Gesundheitsbranche Medizintechnik, die sich im neudeutschen Sprachgebrach als MedTech-Branche bezeichnet. Dieses Selbstverständnis geht einher mit wirtschaftlichem Erfolg. Gute, technologisch anspruchsvolle Produkte werden für die Gesellschaft immer wertvoller. Sei es in Europa, mit einer im Durchschnitt alternden Bevölkerung oder in Ländern anderer Kontinente mit weiter zunehmender Bevölkerung oder die allgemein steigende Lebenserwartung. Der Bedarf an Medizintechnik wächst: in der Menge, aber auch in Qualität und Befähigung der Geräte. Dieses anspruchsvolle Umfeld wird insbesondere auch von Geräten deutscher Unternehmen geprägt. Namen, wie Siemens Healthineers, Drägerwerke, Fresenius, B.Braun, Carl Zeiss, Otto Bock oder Karl Storz stehen für international bedeutende Unternehmen mit tausenden Beschäftigten. Trotzdem beträgt die durchschnittliche Mitarbeiterzahl der Medizintechnikhersteller weniger als 250 Mitarbeiter. Man kann also von einer mittelständig geprägten Industrie sprechen, in der rund 210.000 Menschen direkt und weitere 150.000 Menschen bei Zulieferbetrieben in Deutschland beschäftigt sind.
Die Branche boomt. Die Betriebe stehen für einen Umsatz von über 30 Mrd. Euro im Jahr und einer Exportquote von 68 Prozent. Selbst in diesem, in der Wirtschaft allgemein als schwierig empfundenen Jahr beträgt die Umsatz-Wachstumsrate annähernd 10 Prozent. Jedoch sind die Ansprüche an die Produkte hoch. Deshalb gehen fast zehn Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung – fünfmal so viel wie in anderen Maschinenbaubranchen. Die hohe Entwicklungsquote führt zu gut 12.000 Patentanmeldungen im Europäischen Patentamt in München. Gerade die hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zeigen die Sinnhaftigkeit von Kooperationen mit Hochschulen auf. Neben klinischen Fragestellungen sind es gerade technische Aufgaben, die in Zusammenarbeit mit Hochschulen gemeinsam angegangen werden können.
Ziel: Die Hochschule als Inkubator für Neuansiedlungen von MedTech Unternehmen
In den letzten Jahrzehnten waren die Hochschulen in Deutschland hauptsächlich für die Industrie als Rekrutierungsstandort attraktiv oder aber im Rahmen von Know How Transfers. Gerade im Vergleich zum nord- und westeuropäischen Ausland ist die Anzahl von Neugründungen in Deutschland noch gering.
Hier kann die Fachhochschule eine neue Rolle bekommen. Durch eine enge Verzahnung der neuen Fakultät Medizin mit der Fachhochschule Bielefeld, könnten hier MedTech Startups etabliert werden. Eine Menge Beispiele gibt es, hier nur einige. In der Kardiologie werden derzeit bei Eingriffen am Herzen radiologische Verfahren zur Unterstützung eingesetzt. Hier könnten passgenaue Eingriffe mit Hilfe einer intelligenten Software und Sensorik (z.B. bei Occludern) dem Kardiologen zukünftig helfen. Bei Implantaten muss die Oberfläche perfekt sein, dies beträfe den Bereich Oberflächenprüfung mit geeigneten Kamerasystemen. Aber auch einfache logistische Funktionen wie Lager bzw. Belieferung der Stationen kann durch intelligente Software bzw. Roboter ohne bauseitlich integrierte Leitsysteme bereits deutlich vereinfacht werden bzw. es entfallen Kosten für bauliche Veränderungen innerhalb der Krankenhäuser.
In der Regel werden heute die Unternehmen nach der Hochschule gegründet bzw. sind Spinoffs von Instituten. In Nordrhein-Westfalen werden derzeit diese durch das „START-UP transfer.NRW“ gefördert. Dies spricht Hochschulabsolventinnen und -absolventen an, deren Abschluss in der Regel nicht länger als drei Jahre zurückliegt. Daneben werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen unterstützt, ihren ersten Schritt in die unternehmerische Selbstständigkeit zu gehen.
Aber warum nicht früher damit beginnen? Private Hochschulbetreiber wie die SRH in Berlin haben bereits ein eigenes Lab, in dem sich Studierende aus den Fachbereichen Kommunikation und Design treffen, auszutauschen, experimentieren, arbeiten und lernen. Es soll die Studierenden dabei unterstützen, ihre unternehmerische Persönlichkeit weiter zu entwickeln.
Hier kann sich Bielefeld eine Vorreiterfunktion schaffen. Die Fachhochschule und die Medizinische Fakultät der Universität sollten versuchen, einen eigenen Inkubator für MedTech Start up’s zu gründen und zu etablieren. Die Hochschulen würden hiermit den ersten Schritt in Richtung eines Wirtschaftsunternehmens machen.
Macht dies auch Sinn? Heute scheitern die Gründer an einer Vielzahl von Problemen. Hier möchten wir einige nennen bzw. versuchen zu erklären, warum dies bei einem Inkubator wie einer Hochschule weniger riskant ist.
Mit ca. 42 Prozent scheitern die meisten Startups daran, dass kein Bedarf am Markt ist. Derzeit werden an den Hochschulen eine Vielzahl von Forschungsarbeiten, Praktika bzw. auch Studien betrieben. Dies Grundlagenwissen sollte für die Auswahl Themen fließen, die in einem nächsten Schritt in der Entwicklung eines Business Planes enden. Dieser wird dann von den zuständigen Hochschullehrern aus den Bereichen Medizin, Wirtschaft-, Sozial- und Ingenieurwesen nochmals geprüft. Das gleiche gilt für ein schlechtes Kernprodukt (17 Prozent) sowie für zu starken Wettbewerb (19 Prozent). Ein nicht funktionierendes Geschäftsmodell gab es bei 17 Prozent. Eine Idee war vorhanden, ein Geschäftsmodell allerdings nicht. Hier wäre zu überlegen, ob nicht im Bereich der Wirtschaftswissenschaften der Lehrstuhl Entrepreneurship eingeführt wird. Damit würde auch das Thema schlecht oder falsch dosierte Marketingaktivitäten (14 Prozent), schlechtes Timing bei Gründung und / oder Markteinführung (13 Prozent) sowie ignorieren der Bedürfnisse bzw. des Feedbacks der Kunden (14 Prozent an Bedeutung verlieren. Ein nächster Punkt ist, dass die Teams nicht zusammenpassen.
Immerhin noch 23 Prozent scheitern daran. Hier sollte der Hochschullehrer mit seinen pädagogischen Fähigkeiten die passenden Studierenden erkennen und zueinander führen. Im weiteren Verlauf sollte er als Coach teaminterne Auseinandersetzungen moderieren und schlichten (13 Prozent). Auch sollte er frühzeitig erkennen, wenn der Verdacht auf Burnout bei den handelenden Personen besteht (8 Prozent). Last but not least: die Ressource Mensch wird immer bedeutender, sprich der Hochschullehrer muss sich zukünftig auch mit dem Thema der Rekrutierung weiterer akademisch ausgerichteter Teammitglieder kümmern.
Nur 9 Prozent aller Startups scheitern aufgrund der Region. Der Großraum Bielefeld hat eine sehr gute Infrastruktur und eine positive Einwohnerentwicklung zu verzeichnen. Mit dem Großraum OWL sind eine Menge exzellenter mittelständischer Unternehmen in und um Bielefeld aktiv.
Die bis jetzt aufgeführten Punkte lassen sie aus unserer Sicht mit den bereits vorhandenen Ressourcen koordinieren bzw. regeln. Was ist aber mit den Finanzen? 29 Prozent der Startups scheitern aufgrund fehlender Barmittel, immerhin noch 18 Prozent an den laufenden Kosten. Nach Abwägen aller potentiellen Risisken erhalten die besten Pläne eine Seed Finanzierung.
Es herrscht eine große Diskrepanz zwischen Investitionsvolumen und Anzahl der Unternehmen. Sowohl die Risiken eines Scheiterns bei Buy Outs sind deutlich geringer als auch das allgemeine Engagement bei einem Buy Out ist derzeit deutlich niedriger als bei einem VC. Auch im Vergleich mit Europa liegt Deutschland hinten (EUR 20,5 Mrd bei 3.384 Unternehmen in 2018).
Nach Regionen betrachtet liegt NRW mit einem Volumen von EUR 1.035 Mio nur an fünfter Stelle in der Bundesrepublik Deutschland nach Unternehmensphasen (Venture Capital) ist man mit EUR 119 Mio immer noch auf Rang 3, hinter Berlin (605) und Bayern (269). Dies bedeutet bei 59 Unternehmen ein durchschnittliches Investitionsvolumen von EUR 2 Mio. Gerade aufgrund der hohen Anzahl von technischen und medizinischen Hochschulen erscheint uns diese Anzahl im Bundesvergleich als viel zu niedrig.
Wir haben in NRW mit dem High Tech Gründer Fond bzw. der NRW Bank bereits zwei staatliche Finanzquellen für die Frühphase. Daneben haben wir in Mühlheim an der Ruhr die Zenit GmbH, welche sich auf die Technologieberatung und Innovationsberatung konzentriert.
Eine Struktur wie bei Zenit würde für die Region OWL mit seinen hidden champions, der IHK und den Banken einen weiteren Wachstumsmotor bedeuten. Um keinen Druck auf die Gründer auszuüben, müsste hier ein offener Fond initiiert werden. Dieser sollte seinen Fokus auf der Seed Phase haben und die ersten Schritte der Jungunternehmer vereinfachen.
In 2018 wurden nur für EUR 63 Mio Gründer in der Seed Phase von einem Mitgliedsunternehmen des BVKs (Bundesverband der Kapitalbeteiligungsgesell-schaften) finanziert.
Ziel einer Kooperation zwischen Wirtschaft und Hochschule sollte die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen sein. Hierbei können Themen, wie die Digitalisierung, Automatisierung und Sensorik innerhalb der Medizin ein großes Potenzial für cross selling Ansätze mit hiesigen Unternehmen ergeben. Last but not least, jedes erfolgreich eingeführte Unternehmen bedeutet für alle Beteiligten nicht nur die Sicherung von Arbeitsplätzen, sondern auch eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Aber nicht nur die Region würde hier Vorteile haben, nein wir haben es mit einer win win Situation zu tun. Bis dato verbrauchen die Gründer viel Zeit bei der Suche nach Investoren (VCs oder Business Angels), nun würden sie in einem Inkubator die ersten Schritte ihrer unternehmerischen Tätigkeit machen und wären damit für spätere Finanzierungsrunden in der Regel deutlich attraktiver.
Durch eine gesteuerte Kommunikation in Form von Vorträgen, Round Tables, Messen, Arbeitskreise gehen wir davon aus, dass Branchen wie die Metallverarbeitung (Schrauben bei Implantaten/ Implantate per 3-D-Druck, Praxis- und Krankenhauseinrichtungen), Software (Digitalisierung, bildgebende Verfahren, App auf Rezept, KI, Data-Mining, Vernetzung,), Automation (Logistik- und Roboteraufgabenstellungen), Sensorik (Prüfung der Oberflächen von Implantaten, Organ-on-a-chip) kurzfristig davon profitieren können und aus geführten Gesprächen und Analysen genügend Ideen für weitere Produktansätze generiert werden können. Ein gutes Beispiel stellen Endoskope dar, sie können sowohl im HNO-Bereich als auch in der Orthopädie genutzt werden, aber auch in der Industrie. Genau so können Produkte der Industrie in Anwendungen der Medizin genutzt werden. Allerdings muss die spezielle Gesetzgebung aber auch die vertrieblichen Besonderheiten berücksichtigt werden.
Quelle Text: Axel Beeck, Reinhard Kaschuba
Quelle Bild: Axel Beeck