(September 2019) In zwei Projekten wollen Forscher der TU Braunschweig menschliche Nasenschleimhaut- und Augenhornhautmodelle entwickeln. Das Hornhautmodell so weiterentwickelt, dass es den hohen Anforderungen bei der Arzneimitteltestung gegen Augenkrankheiten entspricht. In einem zweiten Projekt wird eine menschliche nasale Schleimhaut auf einem Chip-System nachgebildet.
In beiden Projekten wird an neuen Testverfahren geforscht, um Wirkstoffkandidaten und Arzneimittel ohne Tierversuche oder die Entnahme tierischen Gewebes zu testen und gleichzeitig verlässlichere Aussagen zur Bioverfügbarkeit im menschlichen Organismus zu erlangen. Das Institut für Pharmazeutische Technologie und das Institut für Mikrotechnik setzen dabei auf Organ-on-a-Chip-Systeme und Zellkulturen, die dynamische Prozesse am Auge und in der Nase besser abbilden.
„Ocular DynaMiTES“ – Künstliche Augenhornhaut
Im Bereich der altersbedingten Erkrankungen ist mit einer Zunahme von Augenerkrankungen zur rechnen. Eine der größten Herausforderungen bei der Arzneimittelentwicklung ist, dass die Wirkstoffkandidaten am gewünschten Wirkort und in der erforderlichen Konzentration im Auge ankommen und bleiben. Erschwert wird das durch die hohe Barrierefunktion der Augenhornhaut (Cornea), den natürlichen Tränenfluss und auch durch den Lidschlag.
Derzeit werden Studien an entnommenen Hornhäuten oder direkt am Versuchstier durchgeführt. Dies führte in den letzten 15 Jahren zur Entwicklung von zellkulturbasierten Cornea-Modellen, die über vergleichbare Eigenschaften wie humanes corneales Gewebe verfügen. Jedoch führten statische Versuchsbedingungen in vielen Fällen zu falschen Interpretationen der Daten. Forscherinnen und Forscher der TU Braunschweig konnten in einer Proof-of-Concept-Studie zeigen, dass durch ein mikrofluidisches System die Dynamik im Auge besser als bei statischen Versuchsaufbauten abgebildet wird. So können die Barrierefunktion der menschlichen Augenhornhaut und auch Vorgänge an der Augenoberfläche nachempfunden werden. „Mit diesem Versuchsaufbau kann die Aussagekraft von In-vitro-Versuchen drastisch erhöht und somit eine behördliche Akzeptanz des Modells erlangt werden“, sagt Prof. Stephan Reichl vom Institut für Pharmazeutische Technologie. Im Rahmen der BMBF-Förderung soll das bereits entwickelte zellbasierte, dynamische In-vitro-Testsystem für Substanzen (vorrangig Arzneistoffkandidaten) validiert werden.
Nasenschleimhaut-Modell „NasaMuc“ – nasale Zellen auf mikrofluidischen Chipsystemen
Der Anteil von Wirkstoffen unter den neuentwickelten Wirkstoffkandidaten, die biopharmazeutisch als problematisch anzusehen sind, wird auf etwa 75 Prozent geschätzt. Problematisch ist dabei vor allem ihre mangelnde Wasserlöslichkeit, ein geringes Vermögen, Biomembranen zu durchdringen, oder eine geringe Stabilität im Magen-Darm-Trakt. Bei vielen Wirksubstanzen muss also über alternative Darreichungsformen nachgedacht werden. Die Anwendung von Wirkstoffen über die Nasenschleimhaut (nasale Mukosa) bietet einige Vorteile gegenüber der oralen Einnahme, zum Beispiel ist die Zellschicht in der Nase durchlässiger als jene im Darm, die Stabilität empfindlicher Wirkstoffe ist ausreichend hoch, und durch die sehr gute Durchblutung des nasalen Gewebes ist ein rascher Abtransport zum Wirkort möglich.
Derzeitig werden Studien zur Beurteilung der Wirkstoffaufnahme über die Nase in der Regel am Versuchstier oder an entnommenen tierischen Geweben durchgeführt. „Bisher ist noch kein valides Testsystem der menschlichen Nasenschleimhaut als Alternative verfügbar. Ziel von „NasaMuc“ ist deshalb die Entwicklung eines zellbasierten In-vitro-Testsystems“, sagt Professor Andreas Dietzel. Mit diesem Testsystem soll die Aufnahme von Wirkstoffkandidaten über die Schleimhaut analysiert werden, ohne auf Versuche an Tieren oder tierischem Gewebe zurückgreifen zu müssen.
Um die hohen Anforderungen an das Testsystem für die Arzneimittelentwicklung zu erfüllen, arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem Verbundprojekt zusammen: Beteiligt ist neben dem Institut für Pharmazeutische Technologie und dem Institut für Mikrotechnik auch das Unternehmen InSCREENeX GmbH, einer Gründung aus dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI).
BMBF-Förderschwerpunkt „Alternativmethoden zum Tierversuch“
Im Rahmen seines Programms zur Suche nach Ersatzmethoden zum Tierversuch hat das BMBF seit 1980 über 500 Projekte gefördert. Ein zentrales Ziel ist, die Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Praxis zu beschleunigen. Die TU Braunschweig erhält für beide Forschungsprojekte eine Förderung im BMBF-Förderschwerpunkt „Alternativmethoden zum Tierversuch“ in Höhe von rund 710.000 Euro für drei Jahre.
Quelle Text: Technische Universität Braunschweig
Quelle Bild: Kai Mattern/Institut für Mikrotechnik/TU Braunschweig