StartEventberichteKRITIS Fachtagung: Das Gesundheitswesen braucht eine umfassende Resilienzstrategie

KRITIS Fachtagung: Das Gesundheitswesen braucht eine umfassende Resilienzstrategie

(März 2025) Die Kritische Infrastruktur (KRITIS) in Deutschland, gerade auch im Gesundheitsbereich, steht vor enormen Herausforderungen. Zum einen muss sich die NATO auf ein mögliches Bedrohungsszenario durch Russland bei einem Überfall auf die baltischen Staaten vorbereiten. Auf Deutschland kommen im Bündnisfall immense Aufgaben zu: als logistische Drehscheibe für bis zu 750.000 alliierte Soldaten muss auch deren Gesundheitsversorgung sichergestellt werden – von möglichen Impfungen bis zur Akutversorgung verletzter Soldaten. Zum anderen könnte ein möglicher Waffenstillstand in der Ukraine in den nächsten Wochen dazu führen, dass hunderttausende Verwundete aus dem Kriegsgebiet hier versorgt werden müssen – eine Mammutaufgabe für Krankenhäuser, Arztpraxen und den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Auf beide Szenarien ist Deutschland nach Ansicht von Experten nicht (ausreichend) vorbereitet, abgesehen von der Frage, ob Straßen oder Brücken es aushalten, wenn Panzer darüber fahren.

„Wir benötigen belastbare Netzwerke für die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehrkrankenhäusern, den BG Kliniken und den Universitätsklinika. In Deutschland müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen genügend Kapazität in kurzer Zeit zur Verfügung stehen kann. Diese öffentlich getragenen Krankenhäuser übernehmen dabei eine besondere Verantwortung und müssen mit ausreichenden Mitteln aus einem Sondervermögen für die Verteidigung unterstützt werden“, fordert daher Reinhard Nieper (Vorsitzender Geschäftsführung BG Kliniken – Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung).

Gesundheitsvorsorge muss schnellstens in nationale Sicherheitsstrategien integriert werden

Zu diesen Rahmenbedingungen gehören Gesetze wie das Gesundheitssicherstellungs- und vorsorgegesetz (GSVG) und das KRITIS-Dachgesetz (KritisDachG), das nach übereinstimmender Meinung der Fachleute von der neuen Bundesregierung noch in diesem Jahr verabschiedet werden sollte.

„Wir müssen das Thema mit nationalem Nachdruck angehen, alles auf den Prüfstand und die richtigen Weichen stellen. Die neue Bundesregierung muss dieses Thema sofort angehen“, fordert Klaus Holetschek (Fraktionsvorsitzender CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag), denn „unsere Krankenhäuser stehen vor einer Zeitenwende und sind auf einen militärischen Bündnisfall nicht vorbereitet. Das gilt auch für die Bundeswehrkrankenhäuser.“

Die Unterstützung von Krankenhäusern ist ebenso unverzichtbar wie die Finanzierung von Waffen, Gerät und Ausrüstung. Ein Umdenken ist für unsere gesamte Infrastruktur erforderlich. Die zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen Gesundheitseinrichtungen, Hilfsorganisationen, Bevölkerungsschutz und Bundeswehr muss auf eine neue Ebene gehoben werden“, betont Prof. Dr. Axel Ekkernkamp (Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin und Programmleiter Fachtagung KRITIS).“

Für Prof. Dr. Leif Erik Sander (Koordinator AG „Health Security“ | Expertenrat „Gesundheit und Resilienz“, Charité – Universitätsmedizin Berlin) haben dabei klare Zuständigkeiten mit koordinierten Kompetenzen höchste Priorität: Unsere Zuständigkeiten sind zu fragmentiert. Militärischer und ziviler Bereich, Krankenhäuser und Sicherheitsbehörden müssen ihre Kompetenzen stärker koordinieren, Bund, Länder und Kommunen effizienter zusammenarbeiten. Es geht um gemeinsame Übungen und Standards und bessere Schnittstellen zwischen den Sektoren. Im Krisenfall muss es schnell gehen, lange Abstimmungsrunden können wir uns dann nicht leisten.“

Veränderte Bedrohungslage durch Cyberangriffe

„Schon heute gilt: Wir sind nicht im Krieg, formaljuristisch, aber wir befinden uns auch schon lange nicht mehr im Frieden, weil wir täglich bedroht und auch attackiert werden“, stellt Generalleutnant André Bodemann (Stellvertreter des Befehlshabers Operatives Führungskommando der Bundeswehr und Kommandeur Territoriale Aufgaben, Berlin) fest.

„Die Bedrohung oder Herausforderung zu früher ist eine ganz andere. Es gibt die Digitalisierung und die Cyber-Thematik, die wir damals zumindest in dieser Ausprägung gar nicht kannten. Viele Dinge, die gut waren, sind gesetzlich nicht mehr möglich oder erst dann, wenn wir den Spannungs- oder Verteidigungsfall haben, also Krieg. Früher gab es nur Null oder Eins, Frieden oder Krieg. Heute liegt dazwischen eine lange Strecke hybrider Bedrohungen. Es sind vor allem, aber nicht nur die hybriden Bedrohungen, gegen die wir uns aufstellen müssen“, führt der Generalleutnant aus.

Unabdingbare zivil-militärische Zusammenarbeit

„Eine enge Kooperation zwischen militärischen und zivilen Gesundheitseinrichtungen ist essenziell für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und die gesamtstaatliche Gesundheitsversorgung. Kooperationen, wie zum Beispiel zwischen Bundeswehrkrankenhäusern und BG-Kliniken, der Charité und dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin in der Infektionsmedizin oder zwischen dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz und der Universitätsmedizin Mainz in der klinischen Forschung, zeigen den Weg einer zukunftsweisenden Zusammenarbeit“, betont Generalstabsarzt Dr. Almut Nolte (Stellv. Befehlshaberin Zentraler Sanitätsdienst und Abteilungsleiterin Einsatz und Gesundheitsversorgung im Unterstützungskommando der Bundeswehr, Bonn).

Verteidigung betrifft auch die zivile Seite

„Verteidigung ist nicht nur eine militärische Aufgabe, sondern betrifft ganz massiv auch die zivile Seite. In zivilen Lagen sind wir resilient. Das ist die gute Nachricht. Die weniger gute Nachricht ist, dass das Szenario eines Krieges, das für uns jahrzehntelang unvorstellbar war, von uns noch weit größere Anstrengungen erfordern würde als die Pandemie“, sagt Ralph Tiesler (Präsident Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Berlin).

Konkrete Maßnahmen sind das Gebot der Stunde

„Deutschland ist nicht auf eine nationale Katastrophe wie einen Krieg oder einen umfassenden Cyberangriff vorbereitet. Das Gesundheitssystem ist das erste Ziel, wenn es darum geht, unsere Gesellschaft zu destabilisieren. Ein Szenario wie ein NATO-Bündnisfall spielt bei der Krankenhausreform beispielsweise keine Rolle. Neue Krankenhäuser müssen wie in anderen Ländern auch mit geschützten Räumen wie unterirdischen OP-Sälen geplant werden. Wir müssen uns mental, technologisch und logistisch besser und umfassend vorbereiten“, fordert Dr. Daniel Dettling (Geschäftsführer Gesundheitsstadt Berlin und Mitveranstalter Fachtagung KRITIS).

„Das Gesundheitswesen in Deutschland braucht eine umfassende Resilienzstrategie, auch für den Bündnis- beziehungsweise Verteidigungsfall. Dieser wird unwahrscheinlicher, wenn potenzielle Angreifer wissen, dass wir auch in Hinblick auf die gesundheitliche Versorgung gut vorbereitet sind. Deshalb müssen Strukturen und Prozesse gestärkt werden, die es uns ermöglichen, im Ernstfall schnell und effektiv zu reagieren. Dies lässt sich nur durch eine gut organisierte zivil-militärische Zusammenarbeit stemmen“, erklärt Dr. Klaus Reinhardt (Präsident Bundesärztekammer).

„Nachdem der Fokus unserer letztjährigen Fachtagung KRITIS darauf lag, die Vernetzung der Akteure aus dem zivilen und militärischen Raum anzustoßen beziehungsweise zu intensivieren, müssen wir nun in die Umsetzung kommen und ganz konkrete Maßnahmen ableiten. Hier kommt dem Klinikstandort Berlin und dessen Rolle als „Nabe im Drehkreuz Deutschland“ eine besondere Rolle zu“, sagt Dr. med. Iris Hauth (Vorsitzende Gesundheitsstadt Berlin).

Die BG-Kliniken würden 50 Prozent ihrer Kapazitäten (oder mehr) in einem militärischen Notfall bereitstellen und möchten weitere Kliniken, insbesondere Universitäten, hinzugewinnen, sich ähnliche Strategien anzueignen.

Quelle: Gesundheitsstadt Berlin, BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin, Mirjam Bauer

 

 

 

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