(Juli 2024) Jupp hatte unsere letzten Kneipenrunden wegen „dringender Renovierungsarbeiten“ abgesagt. Neugierig geworden besucht Ingo ihn zu Hause. „Was ist los. Jupp? – „Mann, Ingo! Wo lebst du denn? Seit dem 14. Juni gibt es einen Monat lang Fußball-EM! 51 Spiele, du Sportbanause!“ empfängt er den ahnungslosen Ingo, inmitten von einem Kabelgewirr, welches eine 8-Kanal-Dolby-Surround HiFi-Anlage mit einem Dutzend Lautsprechern und einem riesigen Fernsehbildschirm verbindet. Jetzt ist natürlich seine Stimmung auf dem Nullpunkt, seitdem das deutsche Team in den letzten Minuten gegen die Spanier mit 2:1 verloren hat. Diese Beleidigung lässt Ingo aber nicht auf sich sitzen und überrascht ihn seinerseits mit einer brisanten Insider-Nachricht.
Hallo, Jupp, hast du schon gehört? Die EU-Kommission befasst sich nun mit der Fußball-EM in Deutschland! Und kümmert sich vorrangig um die Sicherheit.
Die EU-Kommission beruft sich erfolgreich wie immer auf ihren Auftrag für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Europa. Schließlich hat die deutsche Regierung gerade den Joint-Konsum freigegeben. Die FIFA-Anti-Doping-Stelle will jetzt alle deutschen Fußballer auf Cannabis testen.
Die UEFA hat natürlich erst gemault. Aber dann hat die Kommission angedroht, die Europäischen Richtlinien für Arbeitsschutz und Arzneimittel auf alle Fußballverbände in Europa anzuwenden. Wenn sich da erstmal die Europäische Arzneimittelagentur in London mit dem Dopingverdacht befassen wird, schlackern einigen Vereinsfunktionären ganz gewaltig die Hosen. Und denk‘ nur mal an den Arbeitsschutz: EG-Richtlinien zu Lärm und Vibrationen, Persönliche Schutzausrüstungen, Benutzung von Arbeitsmitteln, Gefährdungsbeurteilungen am Arbeitsplatz – der reinste Horror für die UEFA und ihrer Fußballwelt. Von der Korruption und Geldwäsche mal ganz zu schweigen.
Das stimmt schon. Auch in der Außenpolitik sind die EU-Bürokraten gerade vollauf beschäftigt. Aber jetzt denke mal an die vielen arbeitslosen Fachleute in Brüssel, die sich seit Jahrzehnten mit den Medizinprodukten befasst haben. Der Fortgang für neue EU-Regelungen liegt brach, weil im Juni die EU-Parlamentswahlen sind. Danach werden erst die zuständigen Gremien neu besetzt und dann fängt die Diskussion wieder von vorne an. Solange sitzen sie alle da und drehen Däumchen.
Tja, so wie schon vor 60 Jahren unser seliger Nationaltrainer Sepp Herberger sagte: „Der Ball ist rund“, so musst du heute ergänzen „… und ein Medizinprodukt.“
Nimm einfach die Definition eines Medizinproduktes. Ich zitiere mal den Text der aktuell gültigen EU-Verordnung 2017/745: „Medizinprodukt bezeichnet … ein Gerät, … ein Material oder einen anderen Gegenstand, das dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere der folgenden spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen soll:
Nicht meiner Meinung nach! Hör mich doch zu! Das ist die Aussage der EU-Verordnung, ein gültiges Gesetz für alle EU-Länder.
Du hast gut aufgepasst, Jupp. Aber was sagt die EU dazu? „Zweckbestimmung bezeichnet die Verwendung, für die ein Produkt entsprechend den Angaben des Herstellers auf der Kennzeichnung, in der Gebrauchsanweisung oder dem Werbe- oder Verkaufsmaterial bzw. den Werbe- oder Verkaufsangaben und seinen Angaben bei der klinischen Bewertung bestimmt ist“. Und du wirst es nicht glauben! Die EU-Kommissare haben einen Hersteller gefunden, der dem Ball per Werbeaussagen eine medizinische Verwendung bei der Rehabilitation von Patienten zugesprochen haben.
Kerngesund? Das ist ja wohl eine falsche Bezeichnung. Hast du dir mal die Verletzungsliste der einzelnen Spieler angeschaut? Die sind doch regelrecht aus der Reha geflohen, um wieder mitspielen zu können. Und sie gehen dabei jede Sekunde neue Verletzungsrisiken ein.
Gute Frage, Jupp. Er ist zunächst betrachtet von nicht invasiver und nicht aktiver Natur sowie von vorübergehender Anwendungsdauer. Also würde man ihn eigentlich in die niedrigste Klasse I einstufen können. Wäre da nicht die Regel 18: „Produkte, die unter Verwendung von nicht lebensfähigen oder abgetöteten Geweben oder Zellen menschlichen oder tierischen Ursprungs oder ihren Derivaten hergestellt wurden, werden der Klasse III zugeordnet“. Das ist bei einem Lederball ganz klar der Fall, da er aus Rindsleder hergestellt wird.
Momentmal, mein lieber Jupp! Unversehrte Haut? Hast du dir mal die Fußballer am Ende des Spieles angeschaut? Jede Menge Hautverletzungen durch Abschürfungen, Prellungen und Stürze. Und außerdem: bei Kopfbällen hast du zudem noch eine gefährliche Einwirkung auf das zentrale Nervensystem, nämlich das Gehirn. Also ich denke, die Eingruppierung in die höchste Risikoklasse ist schon zu rechtfertigen. So steht es auch im ersten EM-Mängelbericht der EU-Kommission.
Ja, aber die Experten haben natürlich die Sicherheitslage schon vorab gründlich untersucht und wie gewohnt einen ersten Richtlinien-Vorschlag erarbeitet. Sie empfehlen ein erweitertes Regelwerk von etwa 2.000 Seiten Umfang. Es beschreibt die Konformitätsbewertungsverfahren für den Fußball und das Zubehör, die Zertifizierungsanforderungen zur Qualifizierung der Schieds- und Linienrichter, der Trainer und Fußballkommentatoren und vieles mehr.
Neben den Arbeitsschutz-Richtlinien und der EU-Verordnung zur Textilkennzeichnung bei den Trikots sind ein halbes Dutzend weiterer EU-Richtlinien der Neuen Konzeption betroffen, die alle bei der CE-Kennzeichnung beachtet werden müssen:
Das ist ja Wahnsinn, Ingo. Das schafft ja wieder Tausende von Arbeitsplätzen. Es stimmt schon: Kleinlebewesen vermehren sich durch Zellteilung, Bürokratien durch Arbeitsteilung. Na klar doch. Die Europäische Kommission war schon immer die perfekte Realisierung des Parkinsonschen Gesetzes zum Bürokratiewachstum. Es gibt nur noch wenige Gebiete, die von Brüssel bisher nicht geregelt wurden.
Das ist noch nicht alles. Schau mal in die Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen: Infektionsschutz, Abgabe von Energie, Brandschutz, Gebrauchsanweisungen und vor allem Punkt 5.3. „Produkten, die unter Verwendung von Geweben oder Zellen menschlichen oder tierischen Ursprungs…“ benötigen ein wissenschaftliches Gutachten, welches der Benannten Stelle vorgelegt werden muss. In Verbindung mit den Risikoanalysen und der klinischen Prüfung kommt da für die Technische Dokumentation eine Menge Papier zusammen. Vergiss nicht, du hast ein Klasse III Produkt vor dir.
Gute Idee, Jupp. Ich zitiere deinen Freund Lothar Matthäus: „Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken.“ Wir nehmen da lieber unseren bewährten Hopfenblütentee und stecken den in unseren Kopf. Anmerkung: Irgendwann werden die EU-Bürokraten dann merken, dass der Fußball schon seit 1986 aus vollsynthetischem Material hergestellt wird und seitdem kein Fitzelchen Leder mehr enthält. |
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Quelle Text: Manfred Kindler im Medizintechnikportal-Archiv
Quelle Bild: www.medi-learn.de