(Juli 2020) Deutschland hat am 1. Juli 2020 die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Dadurch hält das Land in den kommenden sechs Monaten den Vorsitz in allen Diskussionsrunden der EU-Mitgliedstaaten inne. Dazu gehört auch der „Rat der Gesundheitsminister“, dem Bundesminister Jens Spahn vorsitzen wird.
Mit dem Vorsitz wird Deutschland im kommenden halben Jahr die Diskussionen der Mitgliedstaaten leiten. In dieser Rolle kann es in gewisser Weise lenken, welche Themen in den Sitzungen zur Sprache kommen. Hier kann und sollte Deutschland versuchen, eigene Themen zu setzen, Weichen zu stellen oder bei bedeutenden Themen eine Einigung unter den EU-Mitgliedstaaten zu erzielen. Und da halten die kommenden sechs Monate einiges bereit:
Welche Aufgaben warten jetzt auf Deutschland in den nächsten 6 Monaten – gerade im Medizintechnikbereich?
Das Bundesgesundheitsministerium hat angekündigt, dass die Folgen der Corona-Pandemie sowie der Aufbau eines European Health Data Space (EHDS) im Fokus stehen werden. Bei beiden Themen gibt es Bezugspunkte zur Medizintechnik. Die Verschiebung des Geltungsbeginns der Medical Device Regulation (MDR) war der Corona-Pandemie geschuldet. Es galt zu verhindern, dass notwendige Medizinprodukte plötzlich nicht mehr am Markt verfügbar wären. Das muss aber auch weiterhin gewährleistet werden. Daher braucht es eine transparente Regelung der Bedingungen, unter denen Medizinprodukte jetzt bis Mai 2021 in der EU in Verkehr gebracht werden können. Die parallele Geltung von Medical Device Directive und MDR führt zu einem Flickenteppich von Vorschriften und Regelungen. Die Mitgliedstaaten sollten sich hier auf ein einheitliches Vorgehen abstimmen, wie die Behörden und Benannten Stellen mit dieser Situation umgehen werden.
Was erwarten Hersteller bzw. was können sie erwarten?
Die Hersteller können erwarten, dass in dieser Situation die Verfügbarkeit von Medizinprodukten eine zentrale Rolle spielt. Die Mitgliedstaaten der EU sind aufgefordert dafür zu sorgen, dass Medizinprodukte nicht aufgrund unterschiedlicher und formaler bürokratischer Abläufe – wie etwa unterschiedliche Anforderungen an Formulare oder Dokumentationen zwischen Mitgliedstaaten – nicht in Verkehr gebracht werden können. Wichtig: Es geht hier nicht darum, Anforderungen an Sicherheit und Qualität von Medizinprodukten zu verändern, sondern um die gewährleistete Verfügbarkeit notwendiger Medizintechnik.
Was für Vorteile bzw. Nachteile ergeben sich für Deutschland?
Einerseits hat Deutschland den Vorteil, die Themen auf die Tagesordnung setzen zu können, die aus deutscher Sicht besonders relevant sind. Es gibt aber natürlich keine Garantie dafür, dass für solche Themen auch die von Deutschland vorgeschlagenen Lösungen angenommen werden. Die Einigung erfolgt im Dialog und der Diskussion mit den anderen Mitgliedsstaaten. Das bedeutet in manchen Fällen auch erstmal eine grundsätzliche Übereinkunft, hinter der konkrete inhaltliche Diskussionen dann vorerst zurückstehen müssen.
Deutschland kann sich aber mit den beiden Ländern, die im Anschluss die Ratspräsidentschaft übernehmen werden, Portugal und Slowenien, zu solchen Themen beraten und absprechen.
Wohin geht der europäische Trend?
Erkennbar ist das Bestreben der Mitgliedstaaten, als Folge der Corona-Pandemie gerade im Bereich Gesundheit besser zu kooperieren. Das betrifft sowohl die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung, die Produktion und Verfügbarkeit von Medizinprodukten und Arzneimitteln sowie Innovation und Forschung und damit auch den Zugang zu Daten als Basis für Forschung und Entwicklung. Hier kann der EHDS eine wichtige Rolle einnehmen, gerade in Bezug auf den sogenannten „secondary use of data“. Allerdings müssen die Mitgliedstaaten zunächst einen gemeinsamen politischen Willen zur Zusammenarbeit finden, bevor konkrete Maßnahmen möglich sind. Erreicht Deutschland während seiner Ratspräsidentschaft zu diesem Thema eine solche politische Einigung, können Portugal und Slowenien die Arbeit an konkreten Maßnahmen beginnen. Deutschland kann während der folgenden Präsidentschaften konkrete inhaltliche Beiträge leisten.
Quelle Text: Hans-Peter Bursig, ZVEI-Fachverbandsgeschäftsführer Elektromedizinische Technik
Quelle Bild: BPA